„Wir wollen Studiengebühren schnell abschaffen“ SPD-Spitzenkandidat Weil fühlt Rückenwind

Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung Osnabrück. Im Interview äußert sich SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil zu seinen Wahlchancen, der Schulpolitik und der Rückverlagerung der Landesbeteiligungsgesellschaft HannBG.

Bekenntnis zu Rot-Grün: SPD-SpitzenkandidatStephan Weil. Foto: Jörn Martens

Herr Weil, nach einer aktuellen Umfrage hat Rot-Grün derzeit in Niedersachsen eine satte Mehrheit. Sind Sie „nur“ zuversichtlich oder schon siegessicher?

Ich bin „nur“ zuversichtlich. 49 Wochen sind in der Politik eine ganz lange Zeit. Aber ich gebe zu: Ich starte viel lieber mit Rückenwind als im Gegenwind.

Wenn es mit den Grünen nicht langt – würden Sie sich auch von den Linken oder den Piraten unterstützen lassen? Und wäre eine Große Koalition tabu?

Ich möchte im Moment diese Spekulation gar nicht anstellen. Ich kämpfe intensiv darum, dass wir mit einer sehr starken SPD das Mandat für eine rot-grüne Regierung bekommen…

…aber Sie schließen eine Zusammenarbeit mit Linken oder Piraten nicht aus?

Unter Demokraten muss man immer koalitionsfähig sein. Aber es gibt da schon sehr große Unterschiede. Wenn man zum Beispiel den Zustand der niedersächsischen Linken sieht, dann ist eine Zusammenarbeit mit ihnen sehr unwahrscheinlich. Umgekehrt kann niemand ausschließen, dass es zu einer Situation kommt, in der um der Funktionsfähigkeit des Landes willen eine Große Koalition notwendig ist. Aber noch mal: Ich will Rot-Grün.

Im Moment gibt es für die SPD aus Berlin zumindest keinen Gegenwind. Fürchten Sie, dass sich dies durch Querelen um die Kanzlerkandidatur Ihrer Partei ändern könnte?

Ebenso wie in der niedersächsischen SPD hat man meines Erachtens auch in der Bundespartei einige Lehren aus der Vergangenheit gezogen, vor allem die: Gewinnen können wir nur gemeinsam. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir in der Bundes-SPD eine hohe Disziplin erleben werden, gerade auch zwischen führenden Politikerinnen und Politikern.

Wann werden Sie ein Ministerteam präsentieren?

Nach der Sommerpause. Das ist der richtige Zeitpunkt, dann beginnt der Wahlkampf, und dann werden wir neben den inhaltlichen auch die personellen Alternativen klar aufzeigen.

Sie sind in Hannoverpopulär, liegen aber landesweit deutlich hinter dem amtierenden Ministerpräsidenten David McAllister. Sehen Sie sich in erster Linie als Kandidat für die Großstädte? Wird in den Metropolen die Wahl entschieden?

Weder noch. Niedersachsen ist ein großes Flächenland mit sehr unterschiedlichen regionalen Wurzeln, besonderen Potenzialen und speziellen Problemen. Ich höre und sehe, dass es gerade im ländlichen Raum eine ausgeprägte Unzufriedenheit mit der Landespolitik gibt. Über die damit verbundenen Defizite will ich sprechen und bessere Lösungen anbieten. Insofern trete ich nicht als Bürgermeister an, sondern als Landespolitiker und Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten.

Wird der Wirbel um Bundespräsident Wulff ein Dauerbrenner bis zur Wahl? Empfehlen Sie einen Untersuchungsausschuss?

Ich hoffe nicht, dass das eine unendliche Geschichte wird. Das kann aber letztlich nur Herr Wulff selbst entscheiden. Die SPD wird sich weiterhin darauf konzentrieren, Sachverhalte aufzuklären. Wir wollen keine Showveranstaltung, deswegen ziehen wir auch eine juristische Klärung vor dem Staatsgerichtshof einem politischen Schlagabtausch in einem Untersuchungsausschuss allemal vor.

 

Ein thematischer Schwerpunkt in Niedersachsen ist die Energiepolitik. Wenn die Abkehr vom Atomgelingen soll, muss vor allem bei Erneuerbaren gepowert werden – mitsamt gigantischen Leitungen. Kann Rot-Grün das forcieren?

Wir werden es forcieren müssen. Im Moment haben wir in Niedersachsen leider absoluten Stillstand. Das führt dazu, dass große Chancen, die mit der Energiewende für Niedersachsen verbunden sind, definitiv nicht genutzt werden. Was nützen die besten Windparks, wenn der Strom nicht zu den Verbrauchern geleitet werden kann? Man muss der Landes- wie auch der Bundesregierung vorwerfen, dass fast ein Jahr nach Fukushima praktisch noch nichts geschehen ist.

Halten Sie beim Endlager am Aus für Gorleben fest – und würden Sie gegebenenfalls einen anderen Standort in Niedersachsen akzeptieren?

Nach 30 Jahren Untersuchung von Gorleben ist die Eignung dieses Standorts immer noch nicht nachgewiesen, im Gegenteil: Die geologischen Zweifel sind gewachsen. Deswegen sollten wir jetzt einen Strich ziehen und sagen: Gorleben wird kein Endlager! Im Übrigen hängt es von der geologischen Eignung ab, wo ein Endlager platziert werden soll, da muss insbesondere auch in Süddeutschland gesucht werden. Wenn in Niedersachsen tatsächlich ein Standort unter diesen Gesichtspunkten infrage käme, könnten wir uns einer Prüfung nicht versagen.

 

Die Regierung hat gerade erst Oberschulen eingeführt. Werden Sie diese wieder auflösen und flächendeckend Integrierte Gesamtschulen einführen?

Ich bin ein gelernter Kommunalo, kein Zentralist, sondern ein Dezentralist. Ich bin dafür, dass wir den jetzt seit Jahrzehnten in Niedersachsen schwelenden Schulstreit ganz pragmatisch lösen. Für mich sind der Elternwille und der Wille der kommunalen Schulträger maßgebend. Wenn vor Ort die Auffassung besteht, „Wir wollen eine Oberschule haben“, werde ich das akzeptieren. Aber wir müssen zugleich die Diskriminierung von Gesamtschulen schleunigst beenden. Und ich bin mir relativ sicher: Wenn Eltern und Kommunen die Wahl haben, dann werden sie sich für Gesamtschulen entscheiden.

Ihre Frau ist Hochschulpräsidentin. Müssen Sie mit häuslichen Konflikten rechnen, wenn Sie als Regierungschef die Studiengebühren abschafften?

Da ich überall erkläre, dass eine Abschaffung der Gebühren nicht zulasten der Hochschulen gehen darf, ist auch in dieser Frage mein häuslicher Friede gewährleistet.

Und wann wäre einVerzicht finanzierbar?

Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass wir einen finanziellen Scherbenhaufen nach dem Regierungswechsel in Niedersachsen erben. Ich gebe mir alle Mühe, die Studiengebühren so schnell wie möglich abzuschaffen – ohne heute versprechen zu können, wann das der Fall ist.

Würden Sie die Entscheidung der CDU/FDP-Regierung wieder zurückdrehen, im kommunalen Finanzausgleich dem ländlichen Raum für besondere Belastungen – etwa beim Schülertransport – einen Bonus zu gewähren? Und holen Sie die Landesbeteiligungsgesellschaft HannBG von Groß Berßen zurück nach Hannover?

Ich bin kein Fan des Flächenfaktors gewesen, aber künftige Diskussionen um den Finanzausgleich werden eine ganz andere Frage reflektieren müssen: den demografischen Wandel. Denn mit dem Bevölkerungsrückgang ist gleichzeitig eine Schwächung der kommunalen Finanzbasis verbunden. Deswegen wird es in künftigen Diskussionen weniger um Fläche gehen als um die Aufrechterhaltung von Strukturen. Der Aufbau eines Scheinsitzes der Hannoverschen Beteiligungsgesellschaft in Groß Berßen war meines Erachtens ein schwerer politischer Fehler, insbesondere zulasten der Kommunen, denen damit insgesamt Einnahmen entgangen sind. Ich habe in der Tat die Absicht, das zu revidieren.